Psychogeographische Klangexkursionen
Eine gute Methode, sich der Umwelt zu nähern ist die von den Situationisten und Lettristen künstlerisch genutzte Psychogeographie. Sie untersucht, welchen Einfluss die architektonische oder geographische Umgebung auf die Wahrnehmung, das psychische Erleben und das Verhalten der Menschen hat. Die Psychogeographische Forschung findet dabei an der Schnittstelle der Fachgebiete Kunst, Architektur, Geographie und Psychologie statt. Als Spaziergangswissenschaft ist die Psychogeographie eine kulturwissenschaftliche und ästhetische Methode, die darauf zielt, die Bedingungen der Wahrnehmung der Umwelt bewusst zu machen. Sie basiert sowohl auf einer kulturgeschichtlichen Analyse von Formen der Umweltwahrnehmung als auch auf experimentellen Praktiken zur Umweltwahrnehmung wie reflexiven Spaziergängen und ästhetischen Interventionen.
Im Fokus dieser psychogeographischen Klang-Exkursionen als ästhetischer Bewegungslehre steht jedoch nicht das Spektakuläre und Offensichtliche, sondern das Abseitige, das im Zwischenraum verborgene Unsichtbare. Denn auch im Kleinsten sieht man jene Zusammenhänge vorgeprägt, die kennzeichnend sind für das große Ganze. Das von Windrädern und industrieller Landwirtschaft geprägte Grenz-Gebiet ist als Un-Ort im Niemandsland ein Erinnerungs-Speicher für gesellschaftliche Transformationsprozesse der letzten 100 Jahre, die es aufzuspüren gilt.
Das Festival für psychogeographische Klangexkursionen lädt zehn ausgesuchte Berliner Klangkünstler auf einen abgelegenen ehemaligen Bahnhof in Brandenburg an der polnischen Grenze bei Stettin ein, den geographischen Grenzbereich zwischen Brandenburg/Mecklenburg und Vorpommern/Deutschland/Polen künstlerisch zu reflektieren. In Anlehnung an Pauline Oliveros Begriff des Deep Listening und R. Murray Schafers Unterscheidung in Lo-Fi/Hi-Fi-Klanglandschaften sollen die eingeladenen KünstlerInnen auf die Bedingungen des eigenen Wahrnehmungsapparats und ihrer Umwelt aufmerksam werden und gleichzeitig ihren Wahrnehmungshorizont erweitern. Durch die Konzentration auf das akustische Erscheinungsbild des abgelegenen, menschenleeren ländlichen Raumes und die phänomenologische Betrachtung der Peripherie als Klanglandschaft mit der psychogeographischen Exkursion als Methode, sollen Künstler und Publikum für einen Perspektivenwechsel vom Visuellen hin zum Auditiven sensibilisiert werden.